Grundsatz: Software explizit mit konstanten und dokumentierte APIs - Fortschrittsdienlich und förderwürdig? Stallman noch ausreichend?

  • Hallo,


    mich würde mal interessieren, wie ihr das seht:


    Die Verdienste von Stallman für freie Software dürften unbestritten sein.


    Er hat folgende Freiheiten für Software definiert:


    • Die Software beliebig auszuführen
    • Die Software und ihren Quellcode zu untersuchen
    • Kopien der Software an Andere weiterzugeben
    • Die Software zu modifizieren und Modifikationen weiterzugeben


    Die von ihm proklamierte Freie-Software-Bewegung wurde laut Wikipedia vor ziemlich genau 40 Jahren gegründet.


    1985 wurde daraus die Free Software Foundation gegründet, welche man durch die von ihr verfassten Lizenzen wie GPL kennt. 1991 kam dann Linus Torvalds mit dem ersten Linuxkernel-Release, 1993 wurde Suse gegründet - und heute stehen wir hier.


    Was mir in den letzten Jahren zunehmend aufstößt, ist das Kapern von offenen Standards und APIs durch Projekte, oft auch Konzerne.


    Einen ersten, sehr plumpen Versuch hatte MS ja mit dem Umbasteln an JavaScript bei gleichzeitiger Integration des IE in Windows Ende der 1990er unternommen. Dies stiess aber auf große Kritik.



    Heutzutage ist Google wahrscheinlich führend bei solchen Methoden. Dabei gehen sie gerade bei HTML den legalen Weg und haben ihre Leute in den einschlägigen Konsortien platziert. Ständig werden von Google neue Vorschläge zu HTML5 somit offiziell Teil der Norm, während andere z.T. wieder aus der Norm genommen werden. Durch ihre Manpower geschieht das in einer Schlagzahl, mit der andere Projekte und Alternativen zu Chrome nicht mithalten können (Opera Presto) oder sich sehr schwer tun (Firefox). Auch in Android gibt es immer neue APIS und einen wachsenden Friedhof an Depracted-Aufrufen...


    Das Ziel ist für mich offensichtlich: zu Closed-Source-Zeiten in den 1980ern konnte man sich die Konkurrenz damit vom Hals halten, einfach den Quellcode nicht zu veröffentlichen. Heute wird an vielen zentralen Stellen zurecht Quelloffenheit verlangt. Wenn man jetzt X-Milliarden auf der Hohen Kante hat, sabotiert man Stallmans Freiheiten 1 und 3 ("Die Software und ihren Quellcode zu untersuchen", "Die Software zu modifizieren und Modifikationen weiterzugeben"). Das geschieht dadurch, indem man Standards und das Wissen darüber einfach so schnell veralten lässt, dass man nur als Spezialist für einzelne Teilbereiche hier noch auf dem Laufenden bleiben kann. Ein kleineres Browserprojekt wie Opera kam mit dem Implementieren und austesten bestimmter Sprachstandards in HTML5 am Ende nicht mehr hinterher.


    D.h. am Ende sabotiert Google somit die Intention von Stallman:


    Zitat

    Software, welche diese Freiheiten (über ihre Lizenz) rechtlich gewährleistet, wird von ihm Freie Software (Free Software) genannt. Stallman positioniert sich explizit gegen jegliche proprietäre Software und deren Verwendung. Dazu zählt er alle Software, die dem Nutzer eine oder mehrere der Freiheiten verwehrt, z. B. durch restriktive Endbenutzer-Lizenzverträge, Geheimhaltungsverträge, Produktaktivierungen, Dongles, Kopiersperren, proprietäre Formate oder den Vertrieb von binären ausführbaren Programmen ohne Source code.

    Stallman sieht ein soziales und ethisches Grundprinzip hinter diesen Freiheiten: Freie Software – und damit auch ihre Entwickler – würde die Freiheit und Gemeinschaft der Endnutzer schätzen und respektieren und ein Umfeld schaffen, das Unabhängigkeit, Gemeinschaft, Zusammenarbeit, Solidarität und Austausch ermögliche.

    (Wikipedia)

    Chromium ist zwar formal frei, aber ein Austausch findet kaum statt. Google Chrome ist Marktführer, und es gibt AFAIK nur einen größeren Fork, der sich damit befasst, Google-Thematiken aus dem Quelltext herauszuoperieren...


    Aber sogar einige Open Source-Projekte haben eine Keep-Devs-Out, Keep-forks-away-Schlagzahl.


    GTK: Wurde quasi von Gnome gekapert und ist inzwischen zu schnell für XFCE und sogar für GIMP (von woher es eigentlich kommt!)

    zum Teil Python: openSUSE hängt bei Leap in einem Dilemma zwischen Abwärtskompatibilität und neuen Features, weswegen es manche Pakete von Dritten nur für Tumbleweed gibt - lässt sich einfacher bauen



    Meiner Meinung nach ist ein zu hohes Tempo im Bereich der API-Spezifizierung kontraproduktiv. Oft dient es offensichtlich dazu, Drittentwickler oder Forks zu sabotieren.

    D.h. stabile APIs, welche gut dokumentiert sind, sind am Ende eigentlich Voraussetzung, dass die Stallmanschen Freiheiten umgesetzt werden können.


    Ich frage mich, ob man bzw. die FSF an dieser Stelle noch mal nachschärfen müsste. Die FLOSS Manual Foundation ist aktuell nur eine Untergruppe der FSF...

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