Alles anzeigenEco, der Verband der Internetwirtschaft, stellte gestern den ersten Teil einer Studie zur Nachhaltigkeit von Rechenzentren vor. Die stellt verschiedene Zukunftsprognosen auf, zeigt aber auch, dass zumindest in Deutschland Anreize fehlen, die CO2-Emissionen weiter zu reduzieren.
Ein zentrales Problem für Rechenzentren, ISPs oder Co-Location-Anbieter ist der Energieverbrauch und damit einhergehend der CO2-Ausstoß. Letzterer wird nun auch zunehmend in der deutschen Öffentlichkeit thematisiert, was die Anbieter solcher Dienste zum Gegensteuern veranlasst. Die “Allianz zur Stärkung digitaler Infrastrukturen in Deutschland“, zu deren Mitgliedern unter anderem DE-CIX, AWS, Net Cologne oder NTT gehören, legte gestern den ersten Teil einer Studie zur Nachhaltigkeit von Rechenzentren vor.
Energie-Einsparungen verpuffen
Klar ist: Energie-Effizienz ist in Rechenzentren durchaus ein Thema und die Effizienz von Rechenzentren steigt seit Jahren permanent. Dabei geht es allerdings eher um Gewinnmaximierung über die vorhandene Hardware-Infrastruktur. Energie ist ein Kostenfaktor, ihre Einsparung kein Wert an sich. Also steigt der Verbrauch. Schuld ist auch der so genannte Rebound-Effekt. Er sorgt dafür, dass die dank neuer Technologien und Anwendungen erreichten Energie-Einsparungen gleich wieder verpuffen. Das passiert regelmäßig, wenn neue Software auf die effizientere Hardware trifft. Aus Sicht der Studie sind solche technischen Entwicklungen und neuen Anwendungen für Rechenzentren schlecht vorhersehbar.
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Prognosen zu den CO2-Emissionen von Rechenzentren in Europa (Quelle: https://digitale-infrastruktur…igitalisierung-in-europa/)
Als plastisches Beispiel nennt die Studie unter anderem die künstliche Intelligenz. So haben Forscher am MIT errechnet, dass das Training einer einzelnen KI-Anwendung zur Spracherkennung fünf Mal so viel CO2 erzeugt wie ein Auto während seiner gesamten Lebensdauer benötigt. Auch für die Digitalisierung der Industrie 4.0 und der Städte (Smart Cities) erwarten Experten einen höheren Energiebedarf. Kryptowährungen tauchten quasi aus dem Nichts auf und weisen, zumindest beim klassischen Miningprozess, einen enormen Energiebedarf auf.
Kundenwünsche
Laut den Rechenzentren sind es also vor allem die Kunden und ihre Wünsche, die den Energiebedarf hochtreiben. Überhaupt die Kunden: Befragt nach der Wirkung des Blauen Engel als Zertifikat für Rechenzentren berichtet ein Co-Location-Betreiber: Der spiele kaum eine Rolle, weil die Kunden nie danach fragen. Zwar setzen einige Rechenzentren in Deutschland auf Ökostrom, gibt es Power Purchase Agreements (PPAs), doch im europäischen Vergleich landet Deutschland beim CO2-Ausstoß dennoch eher auf den vorderen Plätzen.
Tatsächlich ist das Problem komplex, da die Rechenzentren den Globalisierungsmechanismen zumindest teilweise unterliegen. Workloads, die nicht latenzkritisch sind, lassen sich problemlos ins europäische Ausland verlagern, wo die Stromkosten günstig sind – und oft zugleich CO2-neutraler. Frankreich erreicht dank Dutzender Atomkraftwerke zumindest niedrige CO2-Werte. Skandinavien setzt hingegen massiv auf sehr günstige Wasserkraft, bei vorbildlicher Ökobilanz.
Was kann Deutschland tun?
In Deutschland gibt es insgesamt geschätzt 50 000 Rechenzentren, dazu zählen 3000 größere mit einer Fläche über 100 Quadratmetern. Der Energiebedarf betrug 2016 insgesamt 12,4 TWh pro Jahr, was 2,3 Prozent des jährlichen Energiehaushalts entsprach. Dieser Wert dürfte inzwischen deutlich gestiegen sein, nicht nur dank Corona. Mit 12,58 Cent pro Kilowattstunde gehöre der Strompreis in Deutschland zugleich zu den höchsten auf der Welt. Das würde auch erklären, warum die deutschen Rechenzentren — jedenfalls laut der Allianz ihrer Betreiber — zu den energieeffizientesten weltweit gehören. Während aber in Europa laut der Studie die CO2-Emissionen trotz eines steigenden Energiebedarfs insgesamt sinken, trifft das auf Deutschland nur bedingt zu.
Die Studie versucht daher auch, den Fokus weg vom reinen CO2-Ausstoß zu lenken und ein größeres Bild zu malen. Sie argumentiert unter anderem: Rechenzentren seien der Grundpfeiler der Digitalisierung und stoßen nicht nur CO2 aus. Sie tragen über die Digitalisierung der Gesellschaft auch direkt und indirekt zu sämtlichen Sustainable Development Goals (SDGs) der UN bei. Ein Beispiel sind die eingesparten Flüge dank virtueller Konferenzen.
Vor allem aber sieht sie die Politik unter Zugzwang. Ihre Prognosen gehen von einem nur langsamen Sinken der Emissionen in Deutschland aus, weil sich der Braun- und Steinkohle-Ausstieg zu lange hinziehen, nämlich bis 2035 beziehungsweise 2038. Dagegen könne laut der Studie ein schnellerer, politisch gesteuerter Ausstieg helfen. Ein Vertreter aus dem Umweltministerium argumentierte, es werde ja bereits viel getan in den Rechenzentren, blieb aber ansonsten eher vage. Aktuell werden erst einmal Daten zu den Rechenzentren erhoben, um ein Kataster der Rechenzentren zu erstellen. Basierend darauf ließe sich zum Beispiel die Abwärme produktiv einsetzen. Auch ein “mittelfristiger Umstieg” auf Ökostrom sei denkbar. Er verwies auf eine Ökodesign-Richtlinie und freiwillige Maßnahmen.
Und abseits der Politik?
Auch die Technik selbst biete aber noch Hebel, um Energie zu sparen. Inger Paus von Vodafone verwies auf KI-basierte Regulierungen, die Vint Cerf in einem Vortrag erwähnt hatte. Mit Hilfe einer KI sei es gelungen, das Kühlsystem in einem Rechenzentrum zu optimieren und den Energiebedarf um rund 40 Prozent zu senken. Auch an der in den Rechenzentren eingesetzten Software selbst ließe sich weiter feilen, um den Strombedarf zu senken. Laut Christoph Meinel vom Hasso-Plattner-Institut erhalten Hersteller von Software bislang keine externen Anreize, um ihre Software möglichst energieeffizient zu entwickeln. Das aber müssten künftige Softwareprojekte von Anfang an mitdenken.
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Prognosen zum Energiebedarf von Rechenzentren in Europa (Quelle: https://digitale-infrastruktur…igitalisierung-in-europa/)
Die Studie jedenfalls sieht verschiedene mögliche Szenarien für die nächsten 10 Jahre, was den künftigen Energieverbrauch und die CO2-Emissionen von Rechenzentren in Europa angeht (siehe Abbildungen). Im besten Fall sinken beide, im guten Fall steigt der Energiebedarf und sinken die CO2-Emissionen. Im Worst Case steigen die CO2-Emissionen nur leicht, der Energiebedarf aber stark. Da die Studie zuvor allerdings auch feststellt, dass sich bestimmte Faktoren nur schlecht vorhersagen lassen, dürften die Zukunftsaussichten auch ein Stück weit Kaffeesatzleserei sein. Klar scheint: Beim Erreichen der europäischen Klimaziele sind Rechenzentren aktuell noch ein Teil des Problems. Ein zweiter Teil der Studie soll dann auf die möglichen Gegenmaßnahmen gegen den steigenden CO2-Ausstoß eingehen. Am Ende der Studienvorstellung stellte sich dem Zuhörer jedenfalls die Frage, ob auch nur eine der beteiligten Parteien mit dem Energiesparen anfangen wird, wenn es keine handfesten Anreize dafür gibt.
Der Beitrag Studie vorgestellt: Nachhaltigkeit von Rechenzentren erschien zuerst auf Linux-Magazin.
Quelle: https://www.linux-magazin.de/n…igkeit-von-rechenzentren/